Eine Linke Antwort auf Corona?
"ZeroCovid" auf dem Prüfstand
Auf unserer Mitgliederversammlung (Video-Konferenz) am Dienstag, 09.02.2021, stand die #ZeroCovid-Kampagne zur Diskussion, die inzwischen von fast 100.000 Menschen unterstützt wird. Zahlreiche Akteur:innen aus Wissenschaft und Politik machen sich stark für einen „solidarischen europäischen Shutdown“.
(Zu Gast:Winfried Wolf, Diplompolitologe und Dr. phil., Mitinitiator der ZeroCovid-Initiative)
Neben Mitgliedern der Partei und politisch interessierten Gästen war auch Winfried Wolf, Aktivist aus der #ZeroCovid-Kampagne dabei, den Dr. Martin Fritsch, der auch moderierte, noch ganz kurzfristig für die Veranstaltung gewinnen konnte. Zu Beginn stellten Patricia Pielage und Markus Berzins (der das Thema anregte) in einem kurzen Input-Referat die Hauptanliegen der Initiative dar:
Das Ziel sind null Neuinfektionen und soll durch einen „solidarischen europäischen Shutdown erreicht werden, wobei im Gegensatz zu den bisher geltenden Maßnahmen auch Kontakte am Arbeitsplatz eingeschränkt werden sollen: „Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden.“
Das Solidarische am Shutdown ist, dass seine Folgen sozial abgefedert werden sollen: „Niemand darf zurückgelassen werden“. Um dies zu ermöglichen fordert die #ZeroCovid-Kampagne unter anderem einen „Ausbau der sozialen Gesundheitsinfrastruktur“, Impfstoffe als „globales Gemeingut“ sowie eine solidarische Finanzierung, zum Beispiel durch „die Einführung einer europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen.“
Im Anschluss hieran äußerte sich Gerd-Peter Zielezinski (Fraktionsvorsitzender Wuppertal) kritisch zu Elementen der #ZeroCovid-Kampagne. Auch er ist der Meinung, dass es richtig ist, sich aus einer linken Perspektive nach einem Kurswechsel umzusehen. Doch genau das macht #ZeroCovid nicht. Es fordert mehr vom selben, nur härter, dafür solidarisch. Was das heißen soll und ob die Solidarität nicht spätestens dort endet, wo die geforderte Strategie nicht länger auf Zustimmung stößt oder ob diese Zustimmung überhaupt erreicht werden kann, solche Fragen lässt der Aufruf diskret bei Seite. Sie wollen den Shutdown von unten, solidarisch und freiwillig, sagen die Initiatoren des Aufrufs. Das klingt sympathisch – gleichzeitig aber auch hoffnungslos utopisch. Ein harter Shutdown würde, wenn überhaupt, von Regierungen exekutiert. Die Auswahl, welcher Betrieb als überlebenswichtig weiterarbeiten darf, würde primär von Kapitalinteressen entschieden.
Er hält einen europaweiten Shutdown für nicht durchführbar und das Ziel, ZeroCovid zu erreichen, ohne eine erfolgreiche Impfstrategie, für illusorisch. Die Inzidenzwerte sinken kaum noch. Dennoch finden Lockdowns keine Zustimmung der Menschen mehr. Für geradezu utopisch hielt er eine europäische Einigung auf einen Shutdown (der Regierungen oder auch von unten)
Eine Aufhebung der Arbeitsverpflichtung bringt weniger als die Initiatoren glauben. Vermutlich ist es nicht falsch, davon auszugehen, dass damit alles in allem rund 50 Prozent der Beschäftigten in Branchen arbeiten, deren Stilllegung ein Kollaps der Versorgung der Bevölkerung bedeuten würde. Die auf Gewinnmaximierung getrimmte Industrie bleibe dagegen geöffnet, ihre Verpflichtung, ihren Mitarbeitern Homeoffice anzubieten, werde von ihr noch unterlaufen. Der Ausverkauf unseres vormals öffentlichen Gesundheitssystems an nur an Profit orientierte Kapitalgesellschaften und das Versagen des Gesundheitsministeriums, das fahrlässig keine Vorsorge für eine mögliche Pandemie traf, haben desaströse Zustände zur Folge.
Lockdowns sind auch eine Katastrophe für unser Bildungssystem, für Kinder und Jugendliche, Bildung in Kitas und Schulen zum Teil ein Totalausfall. Mit bösen Folgen. Anstieg von Depression und Misshandlungen im überlasteten familiären Umfeld. Nicht einmal Distanzunterricht gelingt, weil Digitalisierung in Deutschland verschlafen wurde.
Wie man dagegen ohne Lockdown Inzidenzen senken könne, so Zielezinski, zeige auch unter den jetzigen Bedingungen z. B. die Stadt Tübingen. Sie konzentriere sich auf den Schutz der gefährdetsten Bürger ihrer Stadt. Sie hat kaum Todesfälle. Sie stelle SeniorInnen Taxis gratis, ebenso wie kostenlose Schnelltests für alle Bürger der Stadt. Warum orientiere sich DIE LINKE nicht an diesem Modell?
Winfried Wolf dagegen verteidigte #ZeroCovid. Die Gesamtstrategie orientiere sich an dem, was 1/3 der Weltbevölkerung geschafft habe, die Pandemie einzudämmen mit geringen Einschränkungen für die Bevölkerung, geringen wirtschaftlichen Einbußen und wenig Toten. Der Erfolg hing dabei weniger von der Staatsform oder der regionalen Lage ab, sondern von ihrem konkreten Handeln. Erfolgreich waren frühe konsequente und entschlossene Reaktionen, das Mitnehmen der Bevölkerung durch eine überzeugende Öffentlichkeitsarbeit und ein Mix an differenzierten Maßnahmen, um weitere Lockdowns überflüssig zu machen.
Die Demokratie Japan hat fast keine Toten. China, als autoritäres Regime, hat Corona durch Abschottung, Massentests und Impfungen eingedämmt. Das demokratisch geführte Taiwan hat ein Seuchenkontrollzentrum. Es dämmt die Pandemie ein mit Temperaturmessungen durch Wärmebildkameras, Massentests, durch Digitalisierung optimierte digitalisierte Nachverfolgung, strenge Kontrolle der Quarantäne. Bei 50 Millionen Einwohnern hat es nur 8 Tote pro 100.000 Einwohner, keine weiteren Lockdowns, ein fast normales Leben. In Nordeuropa sind Finnland, Norwegen und Dänemark mit ähnlichen Strategien erfolgreich, in Südamerika Uruguay, in Insellage haben Kuba und Haiti die Pandemie unter Kontrolle. In Europa seien ähnlich erfolgreich Finnland, Norwegen. In Südamerika gelingt Uruguay die Eindämmung, (13 Tote auf 100.000 Einwohner) ebenso wie Kuba, realsozialistischer Inselstaat, und dem karibischen Inselstaat Haiti, als semipräsidentielle Republik.
Ein kurzer vollständiger Shutdown in Deutschland sei jetzt nötig, am besten in ganz Europa. Und wir brauchen Maßnahmen, die auch in den anderen Ländern geholfen haben.
Nach weiterer angeregter Diskussion, unter anderem auch über die Situation in Wuppertal und eine Forderung nach mehr Schnelltests, endete der Abend mit der Hoffnung, die Pandemie möglichst schnell in den Griff zu bekommen. Das sollte solidarisch, mit einer gerechten Verteilung der Lasten und mit so vielen Lockerungen wie angesichts einer Pandemie möglich und so viel Lockdown wie nötig geschehen.
Bericht von Patricia Pielage und Gudrun Küppershaus
Weblinks zu weitere Informationen:
Gegenposition in der Zeitschrift "Luxemburg"